Gesellschaft
Eingewandert ins Wipptal: Ian Wells aus Brisbane
19.01.2021
Vor Kurzem wurde das Projekt „Migration im Lande – Eingewandert ins Wipptal“ gestartet, welches zum Ziel hat, einen ersten Schritt zu wagen beim Kennenlernen von Mitbürgern und Mitbürgerinnen, die aus anderen Ländern ins Wipptal gekommen sind und hier leben. Unterstützt wird das Projekt von Freiwilligen des Sozialdienstes der Bezirksgemeinschaft Wipptal.
Heute wollen wir Ihnen Ian Wells aus Brisbane, Australien, vorstellen.
Herr Wells, wie sind Sie ins Wipptal gekommen?
Ian Wells: Ich stamme aus England. Mein Vater und auch mein Bruder waren Sozialarbeiter in Liverpool. Mein Vater hat Tag und Nacht gearbeitet, er war für die Unterbringung von Personen zuständig, die die Wohnung verloren hatten und obdachlos waren. Er bekam einen Auftrag in Australien und als ich 17 Jahre alt war, zogen wir dorthin. Seit den späten 80er Jahren arbeitete ich an der Griffith Universität in Brisbane in Australien als Videoproduzent. Meine Universität war führend im Online-learning. Damals gab es weltweit noch nicht viele Unis, die Vorreiter waren. Die Universität Innsbruck war eine der wenigen. Mein Chef in Australien flog nach Innsbruck und lernte dort meine zukünftige Frau kennen. Sie folgte dem Angebot, an unserer Universität mitzuarbeiten und kam im Jahr 2000 nach Australien. So lernten wir uns kennen und wurden ein Paar. Wir bekamen 2007 unser erstes Kind und zogen für ein Jahr nach Innsbruck. Beim zweiten Kind kehrten wir zurück nach Australien, 2014 kamen wir wieder und zogen nach Sterzing, weil wir hier Verwandte haben. Wir dachten, das sei einfacher, denn meine Frau stammt aus dem Eisacktal, sie ist Südtirolerin. So bin ich hierher gekommen.
Was machen Sie hier und wie geht es Ihnen?
Ich lebe schon seit über sechs Jahren hier, wohne in Wiesen und bin Hausmann. Alles in allem geht es mir recht gut. Es ist manchmal schwierig wegen der Sprache. Meine Kinder sprechen den lokalen deutschen Dialekt. Es ist manchmal nicht leicht, sich am Spaß zu beteiligen. Als wir in Innsbruck lebten, sprach ich mehr Deutsch als hier, weil der Dialekt es schwierig macht. Das ist ein Hindernis.
In Australien renovieren viele Leute gern ihr Haus. Ich kann hier mit den Handwerkern schwer kommunizieren, z.B. dem Elektriker sagen, was ich will. Ich muss warten, bis meine Frau heimkommt. Ich möchte gerne selbst anpacken. Deshalb muss ich Geduld haben. Ich koche zuhause für die Frau und die Kinder, ich putze, kaufe ein, ich kümmere mich um die Hausarbeit. Ich bin noch ein bisschen mit der Universität in Kontakt, bin aber in Pension. Ich habe hier Freunde, die Englisch sprechen. Letztes Jahr habe ich ein Projekt in der Grundschule Wiesen gemacht, mit den Lehrpersonen und Magdalena Gschnitzer zum Thema Umwelt. Wir interviewten die Lehrer und machten ein Video. Meine Arbeit an der Uni in Australien war es, Videos zu machen, Werbevideos und Schulungen.
Das Gesundheitssystem hier ist sehr gut, viel besser als in Australien und England. Ich treffe Ärzte, die Englisch mit mir sprechen. All die Spezialisten sprechen Englisch mit mir und ich brauche dafür nicht viel zu zahlen. Es ist fantastisch. Der öffentliche Transport ist auch angenehm und gut organisiert. Der Unterschied, hier in einer kleinen Stadt zu leben, ist, dass ich mich sicher fühle. Ich wohnte in einer Stadt mit 2,5 Millionen Einwohnern und als Kind wuchs ich in einem armen Ort in England auf. Es ist wie auf einer Postkarte hier, sehr schön. Wenn man auf den Berg geht, trifft man viele Leute, unterwegs und auch auf den Hütten. In Australien kannst du acht Stunden wandern und niemanden treffen. Das ist schon anders. Ich liebe die Berge und auch das Meer. Das vermisse ich hier, auch meine Geschwister und die Freunde in Australien vermisse ich. Ich lebte dort 38 Jahre und so hatte ich viele Freunde. Ich habe nicht dasselbe hier, ich habe nicht die gleichen Gespräche wie dort.
Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?
Bis meine Kinder groß sind – sie sind jetzt 13 und 11 – also für die nächsten sechs Jahre, werden sie hier zur Schule gehen und es wird sich nichts ändern. Meine Frau ist E-Learning-Spezialistin, lehrt Professoren am MCI in Innsbruck und hat gerade ein Doktoratsstudium in Lancaster in England begonnen. So ist sie sehr beschäftigt.
Mein Ziel für die nächsten Jahre ist es, besser Deutsch zu lernen. Im Sprachencafé in Sterzing kann man sich zum Üben treffen. So kann ich zum Englisch- und auch zum Deutschtisch gehen, das finde ich gut. Ich habe auch angefangen, Italienisch zu lernen, mag aber auch den Englischtisch, wo Patricia lehrt, die aus England stammt.
Ein anderes Ziel ist das Reisen, mehr von Italien zu sehen. Meine Frau hat noch nicht viel von Italien gesehen und so wollen wir nach Süditalien reisen, sobald es wieder möglich ist.
Was sollte man wissen, wenn man hier lebt bzw. was ist wichtig für ein gutes Zusammenleben?
Manchmal denke ich, ist es schwierig, Ideen anzubringen. Wenn du Ideen hast, musst du auch viel Bürokratie auf dich nehmen. Es braucht viel Zeit, Schritt für Schritt etwas umzusetzen und neu einzuführen. Das ist normal für kleine Ortschaften, vielleicht gibt es auch nicht die Ressourcen, nicht das Geld. Die Gemeinde ist sehr gut organisiert, zum Beispiel beim Recycling und die Angestellten sind freundlich. Ich habe heutzutage nicht mehr so viele Ideen. Vielleicht weil ich hier etwas isolierter bin, vielleicht weil es etwas klein ist und vielleicht wegen Covid und ich bin auch nicht mehr so jung. Ich habe jetzt mehr Geduld, ich bin ein älterer Vater. Ich habe jetzt nicht mehr ganz so viel Energie und die Kinder sind virtuell unterwegs. Meine Frau ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie ist es gewohnt zu arbeiten, hat viel zu tun und fährt jeden Tag nach Innsbruck.
Wenn man am Anfang herkommt, ist der größte Unterschied, dass in Australien jeder versucht jedem zu helfen. In Australien spürt der andere, dass du Hilfe brauchst und fragt: „Brauchst du Hilfe?“ Das ist hier nicht so. Aber wenn du jemanden fragst, dann hilft dir jeder. Das ist angenehm. Nur muss man hier den ersten Schritt machen und das muss man wissen. Dies ist ähnlich wie in England, etwas verschlossen, im Gegensatz zu Australien. Dort ist man mehr offen.
Das Interview wurde mit Unterstützung von Patricia Halloway am 4. Jänner 2021 aufgenommen. Sie ist Freiwillige des Sozialdienstes Wipptal und gestaltet den Englischtisch im Sprachencafé in Sterzing.