Ein Kommentar von Heinrich Aukenthaler,
Referent für Soziales in der Gemeinde Freienfeld und Mitglied des Bezirksrates
In der angeregten Diskussion um das Seniorenwohnheim kommt ein wichtiger Aspekt meiner Meinung nach zu kurz. Wie sieht der Bedarf an Seniorenwohnheimplätzen in den nächsten zehn, zwanzig Jahren im Wipptal wirklich aus?
Die Direktorin unseres Sozialdienstes Christine Engl hat vor gut einem Jahr den Verantwortlichen der Bezirksgemeinschaft unter dem Titel „Pflegelandkarte“ ein Dokument zur „aktuellen Lage und den angestrebten Entwicklungen in der Betreuung von pflegebedürftigen SeniorInnen in den nächsten 10-15 Jahren“ vorgestellt. Am Ende des Berichts kommt sie auf die sogenannten Bettenparameter der Seniorenwohnheime zu sprechen. „Die heute bestehenden langen Wartezeiten belegen eindeutig, dass der seit Jahren unveränderte Bettenschlüssel von 8,9 zu niedrig ist, um den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht zu werden. Die Parameter müssen aktualisiert werden und sie müssen auf eine detaillierte Trendforschung und Bedürfniserhebung aufbauen.“
Im Klartext heißt dies, es müssen mehr Betten zur Verfügung stehen.
Zum Parameter „Bettenschlüssel“ bedarf es vielleicht einer Erläuterung. Er fußt auf der Zahl der 75 -und über 75-Jährigen des Einzugsgebietes. Pro 100 Personen dieser Altersgruppe sollten laut der aktuellen Vorgabe 8,9 Betten zur Verfügung stehen. Einfacher gerechnet: Man nimmt die Zahl der 75-Jährigen und über 75-Jährigen und multipliziert diese mit 8,9 Prozent. Wenn es tausend sind, dann braucht es 89 Betten, bei 2000 178 Betten. Nur - die effektive Abdeckung mit Betten ist landesweit im Laufe der letzten Jahre ständig gesunken. Momentan liegen wir beim Faktor 8. Gleichzeitig steigt aber der Anteil von alten Leuten in unserer Gesellschaft ständig an. Im Jahr 1985 waren 5 % der Südtiroler Bevölkerung 75 und älter, im Jahr 2000 7 %, im Jahr 2021 10 %, in absoluten Zahlen ausgedrückt: 56.318 Personen. Im Jahr 2038 wird der Anteil dieser Altersklasse voraussichtlich 13 % betragen, und mit einer hochgerechneten Bevölkerungszahl von 563.000 Einwohnern werden es rund 73.500 Personen sein. Das heißt, das Land Südtirol bräuchte dann 6.500 Betten. Heute verfügen wir über 4.400.
Im November des Jahres 2020 ist von der Eurac eine Studie zum zukünftigen Pflegebedarf präsentiert worden. Die Forschungsarbeit des Peter Decarli kann unter folgendem Link abgerufen werden:
http://www.provinz.bz.it/familie-soziales-gemeinschaft/soziales/downloads/Forschungsprojekt_Sozialdienste_Alto_Adige_2030.pdf
Die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung wurden vom ASTAT ins Netz gestellt. Die animierte Alterspyramide zeigt an, wie die Altersverteilung in der Vergangenheit aussah und wie sie sich bis zum Jahr 2038 verändern wird. Auch hierzu ein nützlicher Link:
https://astat.provinz.bz.it/pyramid/index_d.html#!a=20,75&g
Soziallandesrätin Frau Waltraud Deeg hat vor einiger Zeit dem Wipptaler Bezirksrat eine „Pflegelandkarte im Zeichen des demografischen Wandels“ vorgestellt. Eine Folie aus ihrer Präsentation vergleicht Bezirk für Bezirk die Bettenanzahl der Seniorenwohnheime des Jahres 2018 mit dem Bedarf im Jahr 2030. Während einige Bezirke wie Vinschgau, Burggrafenamt, Salten Schlern und Überetsch Unterland heute schon relativ gut abgedeckt aufscheinen, befindet sich der Bezirk Wipptal unter den weniger gut versorgten Bezirken. Es gibt zwar gewissen Unterschiede in der Altersverteilung innerhalb der einzelnen Bezirksgemeinschaften. In den großen Städten sind die Leute im Schnitt etwas älter. Trotzdem ist davon auszugehen, dass das Wipptal eine große Versorgungslücke aufweist, wie dies auch die Direktorin des Sozialsprengels anmahnt und die Landesrätin aufgrund der präsentierten Zahlen bestätigt.
Im Bezirk Wipptal leben aktuell rund 20.000 Personen. Angenommen 10 % der Bevölkerung sind 75 und mehr Jahre alt, dann bräuchte es beim aktuell niedrigen Schlüssel von 8 Betten pro hundert alten Leuten im Bezirk 160 Betten Wenn im Jahr 2038 13% der Menschen 75 und älter sind, dann kommen wir auf einen Bedarf von über 200. Diese Zahl scheint auch in einer von der Landesrätin präsentierten Grafik auf. Es muss hinzugefügt werden, dass es im Bezirk zwei Seniorenwohnheime gibt, jenes der Bezirksgemeinschaft und Schloss Moos, letzteres gehört dem Vinzenzverein und wird von ihm betrieben. Im nun ausgesiedelten Seniorenwohnheim standen 77 Betten zur Verfügung, im Schloss Moos gibt es 48 Betten. Mit einer Erhöhung der Bettenzahl auf 90 im neuen Bezirksaltersheim wird es für die Zukunft nicht getan sein. Deswegen müsste jetzt schon umsichtig und besonnen geplant werden, sodass ohne großen Aufwand der steigende Bedarf sukzessive dazugebaut werden kann. Ein Weg dahin wäre, jetzt schon ein Altersheim zu planen, welches groß genug ist und vor allem Erweiterungsmöglichkeiten bietet, um den zu erwartenden Bedarf abzudecken.
Mit den Seniorenwohnheimbetten allein ist es freilich nicht getan. Es muss auch dafür Sorge getragen werden, dass in nächster Zukunft genügend Pflegepersonal für den Beruf motiviert und ausgebildet wird. Um dieses Anliegen kümmert sich Soziallandesrätin Waltraud Deeg. Auch das betreute und begleitete Wohnen wird für ältere und noch nicht stark pflegebedürftige Menschen mehr und mehr gefragt sein. Dafür jetzt schon Strukturen in Aussicht zu haben, hieße in die Zukunft schauen. Schließlich werden sich die Bezirksgemeinschaft und vor allem die daran beteiligten Gemeinden nach der finanziellen Decke strecken müssen.
Landesrätin Deeg hat vor Kurzem in der Landesregierung die Betreuungs- und Pflegelandschaft Südtirol vorgestellt. Ein Satz daraus ist auch in den Medien wiedergegeben worden: „Wir sind dabei, ein wohnortnahes und abgestuftes Dienst- und Pflegeangebot zu erhalten, zu stärken und wo nötig auszubauen.“