Wirtschaft
Stine Frei: „Wo ist da das Tierwohl?!"
17.07.2021
Nun muss ich mich doch einmal zu Wort melden. Lieber hätte ich meine Ruhe und würde die wenige Freizeit, die mit bleibt, anders nutzen, als einen langen Bericht zu schreiben. Aber es wird so viel in den Medien über und von der Landwirtschaft berichtet, dass sich in mir als Landwirtin langsam Entsetzen breit macht.
Ganz kurz etwas zu meiner Person: Ich bin als Kind in der DDR aufgewachsen, mit ein paar Schafen, Bienen und Geflügel, was damals für den Eigengebrauch erlaubt war. Drei große Leidenschaften habe ich in meinem Leben: Kunst, Lyrik und Landwirtschaft. Ich habe begonnen, Kunstgeschichte zu studieren, habe aber bald gemerkt, dass meine Tierliebe dabei viel zu kurz kommt. So bin ich für ein Jahr nach Island gegangen, um dort als Schäferin zu arbeiten. Gelandet bin ich jedoch auf einem Milchviehbetrieb, wo ich das erste Mal überhaupt mit Kühen gearbeitet habe. Ich war so begeistert, dass ich daraufhin eine landwirtschaftliche Ausbildung begonnen und auch abgeschlossen habe. Mehrere Jahre habe ich auf ganz unterschiedlichen Betrieben gearbeitet, in Deutschland, Holland und Irland – auf konventionellen und Biobetrieben. Dabei habe ich sowohl die Demeter als auch Biolandarbeitsweise kennen gelernt. 2005 habe ich im Südtiroler Landwirt eine Anzeige, ein Arbeitsgesuch, aufgegeben und bin seitdem hier. Zunächst war ich den Sommer über für drei Monate auf einem Bergbauernhof in der Nähe von Brixen. Es war das erste Mal, dass ich eine Anbindehaltung gesehen habe. Was mich im ersten Moment erschreckt hat, da ich bis dahin nur Laufställe kannte. Ich kannte auch keine so steilen Wiesen, keine holzgezimmerte Schubkarre (die beim Ausmisten bereits ein unglaubliches Eigengewicht mitgebracht hat) und ich kannte keine Milchviehhaltung ohne Absauganlage. So viel Handarbeit! Den Kühen ging es wirklich richtig gut – trotz Anbindung. Man muss viele verschiedene Betriebsweisen sehen, um zu verstehen, dass jeder Betrieb ganz individuell zu betrachten ist, wenn es ums Tierwohl geht. Ich finde es anmaßend, dass Umweltaktivisten so gegen die Anbindehaltung ankämpfen, ohne in solchen Betrieben gearbeitet zu haben. Südtirol hat eine phantastische Tradition und Kultur, die mich schwer beeindrucken. Ganz besonders die Berglandwirtschaft und die Almwirtschaft sind einmalig. Mit der Forderung, dass Anbindeställe zusperren sollen, wenn kein Umbau erfolgt, werden ganze Familien, werden Existenzen in Gefahr gebracht! Sowohl örtliche Voraussetzungen wie auch der finanzielle Aufwand zum Umbau sind absurd, zumal es meiner Erfahrung nach den Tieren nicht schlechter geht als in einem Laufstall. Angeprangert wird das Tierwohl….
Das Tierwohl beschäftigt mich auch in der „Wolfgeschichte“. Ich besitze selbst Schafe, die jetzt im Sommer auf der Alm sind. Ich hänge an jedem einzelnen Tier. Einige habe ich mit der Flasche aufgezogen und meine Kinder vermissen die Schafe ebenso sehr wie ich, jetzt wo sie in ihrer Sommerfrische auf dem Berg sind. Aber es ist ein Roulettespiel, ob sie alle wieder kommen und nicht von den Wölfen gerissen werden wie bereits an vielen anderen Orten. Und wenn sie dann halbtot aufgefunden werden, weil ihnen das Euter weggefressen wurde und die halben Innereien, dürfen sie nicht einmal geschwind erlöst werden, sondern müssen elendig warten, bis der Amtstierarzt Zeit hat und vor Ort ist, um sein OK zu geben, sie von diesem Krepieren zu erlösen. Das ist so erbärmlich! Wo ist da das Tierwohl?! Sollte es einem meiner Schafe so ergehen, werde ich die Schafhaltung aufgeben. Und wenn keine Schafe mehr da sind, werden die Kälber gerissen und vorbei ist es mit der schönen Südtiroler Almwirtschaft. Das ist so traurig und so erschreckend, wie sich die Einstellung in den letzten 16 Jahren, seit ich hier bin und Südtirol kennen gelernt habe, verändert hat.
Nach den drei Monaten auf dem Bergbauernhof bei Brixen hat mich der Bergbauer nach Elzenbaum vermittelt. Dort war ich zwei Jahre auf einem Hof angestellt – ebenfalls ein Stall mit Anbindehaltung und ca. 30 Milchkühen. Dann habe ich im Dorf geheiratet und gemeinsam mit meinem Mann den Hof gepachtet, auf dem wir zurzeit leben und arbeiten. Wir haben vor drei Jahren einen großen Laufstall gebaut. Um die Kosten decken zu können, mussten wir natürlich mehr Kühe anschaffen. Man sollte sich einmal Gedanken zu den Produktionsspesen von einem Liter Milch machen und zu denen von einem Liter Mineralwasser. Unsere Kühe haben übrigens im Sommer Weideausgang, obwohl wir ein konventioneller Betrieb sind. Wir haben versucht, auf Bioheumilch umzustellen, aber unsere Kühe haben unter der minderen Fütterung gelitten. Auch da kann ich nur sagen, man muss jeden Betrieb und die Tiere individuell anschauen. Wir gehören im Wipptal sicher zu den eher größeren Betrieben, aber wir haben nicht zu viel Mist und Gülle, im Gegenteil. In den letzten Erker-Berichten war oft zu lesen, dass das Wipptal im Nitrat erstickt und der Viehbesatz überall zu hoch ist. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass das tatsächlich nur eine knappe Handvoll Betriebe im Wipptal betrifft. Wir bewirtschaften mit unserm Betrieb ca. 50 ha Wiesen und Äcker. Darunter sind Felder mehrerer nicht mehr bewirtschafteter Bergbauernhöfe, deren Flächen wir in Pacht haben. Von einem Feld zum nächsten „hagen“ wir den ganzen Sommer durch. Täglich die Stallarbeit sieben Tage die Woche, egal ob zu Weihnachten oder im Lockdown.
Wir haben auch Schweine in Freilandhaltung, die wir zu Fleisch und Speck verarbeiten. Den heurigen Wurf habe ich selber mit der Flasche groß gezogen, weil die Muttersau mehr Ferkel geworfen hat, als sie Zitzen hatte. Ich hänge an ihnen, aber es ist ganz normal, dass die heurigen Schweine im Winter geschlachtet und von uns verarbeitet werden. Und im nächsten Jahr kommen neue Ferkel. Wir schauen mit Liebe und Leidenschaft auf unser Vieh und die Natur, versuchen einen Kreislauf zu schaffen und leben mit den Tieren, mit den Jahreszeiten, mit dem Leben und dem Tod. Und so oder ähnlich leben die meisten Bauern hier in Südtirol.
Ich kann nicht verstehen, weshalb man sich dermaßen in unseren Beruf einmischt und einem immer mehr Steine in den Weg gelegt werden, sodass Kleinbetriebe zusperren müssen, Schafzucht immer mehr aufgegeben wird, die Almwirtschaft in Gefahr gebracht wird, das Image der Bauern so durch den Dreck gezogen wird. Das macht mich traurig und wütend zugleich! Ich habe diesen Bericht geschrieben, um den Lesern einen Einblick in die andere Seite zu vermitteln, obwohl ich eigentlich keine Zeit dazu habe, denn ich habe drei Kinder, Milchkühe, Schafe, Schweine, Bienen, Hühner und Feldarbeit, die mich fordern und denen mein ganzes Herzblut gehört. Daneben ist noch die unliebsame Haus- und Büroarbeit.
Ich würde mir wünschen, dass sich nicht ständig blindlings in das Leben der Bauern eingemischt und darüber geurteilt wird, dass nicht mehr ohne Hinterfragen Meinungen aus den sozialen Netzwerken geteilt werden. Bei Zweifel einfach direkt Kontakt zu den Bauern suchen! Und ich wünsche mir, dass regionale Produkte gekauft werden: Milch vom Milchhof Sterzing und nicht Mandelmilch aus Kalifornien, Fleisch von Wippland und örtlichen Metzgerbetrieben und nicht Discounterfleisch von irgendwo her. Ich wünsche mir auch ein wolffreies Südtirol, Frieden und Respekt für den ältesten Berufstand.
Stine Frei, Elzenbaum