Verena Überegger, Bürgermeisterin von Freienfeld, hat zwar derzeit weniger Abendtermine und Sitzungen. Trotzdem ist sie als politisches Oberhaupt der Gemeinde, gerade jetzt intensiv gefordert. Über still stehende Baustellen, umstrukturierte Verwaltungsarbeit, Sorgen der Bürger und Mitarbeiter und die Herausforderung, die noch vor uns liegt.
Erker: Frau Überegger, das Corona-Virus hat unseren gewohnten Alltag von 100 auf Null gestellt. Wie hat sich Ihre Arbeit und generell die Verwaltungsarbeit in der Gemeinde Freienfeld verändert? Alles im Krisenmodus?
Verena Überegger: Wir erleben alle eine epochale Wende, wollen und können dies aber nicht so richtig wahrhaben. Wir fragen uns, ob unser gewohntes Leben so wie bisher weitergehen wird. Wir planen und wissen nicht, ob wir das Geplante auch verwirklichen werden können. Und doch besteht die einzig gebotene Haltung in dieser Phase zu tun, als ob alles bald vorbei sein wird, als ob wir nicht innehalten dürften in unserem Planen, Bemühen, Umsetzen.
Die Verwaltungsarbeit haben wir rigoros umgestellt, im Sinne des Mitarbeiterschutzes und aufgrund der Ausgehbeschränkungen gibt es keinen Parteienverkehr vor Ort, der Recyclinghof bleibt vorerst noch geschlossen, einige Mitarbeiter erledigen ihre Arbeit von zu Hause aus und wir versuchen notgedrungen mit einem kleineren Stab anfallende Arbeiten gemeinsam zu bewältigen.
Was ist derzeit die größte Herausforderung?
Noch nie war ich so intensiv fast ausschließlich mit Sorgen der Bürgerinnen und Bürger zeitgleich mit jenen der Mitarbeiter befasst. Ihnen bestmöglich zur Seite zu stehen empfand und empfinde ich auch als die größte Aufgabe und Pflicht in dieser schweren Zeit. Gefühlsmäßig telefoniere, SMSe und maile ich nahezu ganztags.
Hat das Coronavirus Kosten verursacht, die sich im Haushalt niederschlagen werden?
Angenommen, wir können unsere Vorhaben nicht verwirklichen, so wird sich dies auf der Ausgabenseite niederschlagen. Andererseits wissen wir nicht, ob die üblichen Einnahmen weiterhin fließen werden. Was ist, wenn die wirtschaftliche Krise, die folgen könnte, immense Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben mit sich bringt? Die Staaten können ja nicht einfach Geld drucken und verteilen. Was damit droht, wissen die Ökonomen aus den Erfahrungen, die vor hundert Jahren gemacht wurden.
Wie unterstützt die Gemeinde als Verwaltung die Bürger?
Wir haben von Anfang an versucht, die notwendigsten Hilfestellungen zu leisten: die Alleinstehenden kontaktieren, ein Bürgertelefon einrichten, regelmäßigen Kontakt zu Personen in Quarantäne (seit Aushändigung der Namenslisten), Weiterleitung von Informationen, Bereitstellung der Formulare zur Fortbewegung und Verteilung an Geschäfte … Die größte Unterstützung, die jeder in dieser Zeit bieten kann, besteht darin, die Ansteckungsgefahr zu verringern.
Ein gewisser Stillstand ist derzeit auch in der Lokalpolitik angesagt. Wie geht es mit den wichtigsten Projekten weiter?
Derzeit ruhen alle Baustellen. Wir müssen wohl so denken, als ob bald wieder vieles möglich wäre. Wir haben in unserer Gemeinde schöne Projekte vor uns, abgesehen von den notwendigen Arbeiten an den Infrastrukturen: die Umfahrung von Mauls, die unterirdische Verlegung der Hochspannungsleitung, die Gestaltung der Dörfer, die Verkehrsberuhigung, die Neutrassierung der Radroute zwischen Stilfes und Pfulters, die Übernahme und Aufwertung des Bahnhofs, die Errichtung von Erholungs- und Erlebnisräumen für Mitbürgerinnen, Mitbürger und Gäste ... An Ideen fehlt es uns nicht, allenfalls an Geld. Vielleicht ist diese Krise gerade für die öffentliche Hand – als sicherer Zahler – auch eine Chance. Gingen zu Beginn des Jahres einige Ausschreibungen leer aus, hoffen wir nun auf Angebote lokaler Firmen.
Wie erleben Sie derzeit die Bürger von Freienfeld? Wie ist die Stimmung in den Ortschaften?
Größtenteils fügen sich die Mitbürgerinnen und Mitbürger den verordneten Verboten und Geboten. Die kritischste Phase, fürchte ich einmal, liegt aber noch vor uns, wenn viele die gewohnte Arbeit nicht mehr verrichten können, wenn die Einnahmen zurückgehen, den Menschen die Wohnungen eng und enger werden, wenn - und auch das ist ein mögliches Szenario - die Infektionsrate sich als höher herausstellt als bislang medial suggeriert.
Ein wichtiger und entscheidender Schritt wird der gestaffelte und geplante Übergang, hierzu brauchen wir zeitnah klare Informationen.
Halten sich nach wie vor alle an die Ausgangsbeschränkungen?
Die meisten schon, es gibt aber überall Ausnahmen. Das besorgt mich. Wenn ich von den Ordnungskräften höre, dass Personen, die in Quarantäne sein müssten, unterwegs waren, dann verschlägt es mir die Sprache. Ebenso bei der Meldung, dass Spielplätze nun wieder frequentiert werden. Ich fürchte, einige haben den Ernst der Lage noch nicht erkannt.
Wie nutzen Sie die frei gewordene Zeit in Ihrem Kalender?
Ich habe zwar keine Abendveranstaltungen und nur sehr begrenzt Sitzungen, aber wirklich freie Zeit habe ich besonders jetzt nicht. Einerseits darf ich berufsmäßig im Krankenhaus weiterarbeiten – und das sehe ich als Privileg. Zum anderen bin ich in der Gemeinde mehr präsent, nicht nur als politisches Oberhaupt sondern vor allem derzeit auch für alle Mitarbeiterbelange zuständig. Als Familie mit drei Kindern im Schulalter durchlaufen wir ebenso eine komplett neue Situation.
Interview: rb