Wirtschaft
Im Gespräch mit AFI-Direktor Stefan Perini
17.05.2020
Wir befinden uns gerade in Phase 2 der Corona-Pandemie. Die ersten Lockerungen sind bereits in Kraft getreten. Auf den Baustellen wird wieder gearbeitet, Geschäfte und Betriebe haben wieder aufgesperrt. Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts, über die Auswirkungen des Lockdown auf den Arbeitsmarkt und auf die Wirtschaft.
Erker: Herr Perini, haben wir das Schlimmste überstanden?
Stefan Perini: Nach rund zwei Monaten im „Shutdown“ ist es sicher ein positives Zeichen, wenn wieder etwas mehr Normalität in den wirtschaftlichen Alltag einzieht. Letztendlich ist es aber noch zu früh, um die Folgen abzuschätzen. Man muss hier nämlich differenzieren: Bestimmte Berufsgruppen, wie freiberuflich tätige Architekten oder Berater beispielsweise, konnten relativ normal weiterarbeiten, einige Sparten konnten sogar Zugewinne verzeichnen, während andere Bereiche schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es ist nicht auszuschließen, dass Unternehmen, die sich bereits vor der Krise in finanziellen Schwierigkeiten befunden haben, nun aufgeben oder schlimmstenfalls sogar Konkurs anmelden müssen. Andere wiederum, die sich schnell der Situation anpassen konnten, werden neue Geschäftsfelder erschlossen oder ihre Wettbewerbsposition sogar verbessert haben. Im Prinzip hängt das Überleben vieler Unternehmen davon ab, wie schnell der Wirtschaftsmotor wieder in Gang gebracht wird. Um fundierte Aussagen über den Impact der Krise auf die Wirtschaft treffen zu können, bräuchte es allerdings einen Krisenmonitor.
Wie haben Sie diese Krise empfunden?
Zunächst müssen wir uns vor Augen halten, dass die Krise nicht überwunden ist. Wir stecken noch mittendrin. Persönlich hat es mich sehr überrascht und auch gestört, wie schnell Grundfreiheiten wie Bewegungs- und Versammlungsfreiheiten oder der Erwerb von Konsumgütern eingeschränkt wurden. Wir bekamen vor Augen geführt, wie schnell sich eine Demokratie in einen Polizeistaat verwandeln kann. Einerseits bewiesen die Mitglieder unserer Gesellschaft sehr viel Solidarität, andererseits griff das Denunziantentum um sich. Diese Krise hat nicht nur das Beste, sondern auch das Schlechteste im Menschen offenbart. Ebenfalls konnte man beobachten, wie stark Wirtschaft und soziale Dienstleistungen miteinander vernetzt sind und wie sehr die Bereiche voneinander abhängen. Möchte man, dass die Leute zur Arbeit gehen, muss man nicht nur Vorkehrungen für den Schutz ihrer Gesundheit treffen, sondern auch die Kinderbetreuung organisieren, oder dafür Sorge tragen, dass der Weg zur Arbeitsstätte verkehrstechnisch gesichert ist. Arbeiter und Angestellte müssen sich mit Lebensmittel versorgen können, wofür es Mensadienste, Geschäfte und Gastronomiebetriebe braucht. Die Zusammenhänge und auch Abhängigkeiten wurden in aller Deutlichkeit sichtbar.
Als Tourismusland ist/war Südtirol besonders stark vom Lockdown betroffen.
Von allen Sektoren wird das Hotel- und Gastgewerbe die Auswirkungen der Corona-Krise am stärksten zu spüren bekommen. Die Nächtigungszahlen des Vorjahres wird man nicht einmal ansatzweise erreichen können. Neben den Betreibern sind davon natürlich auch die rund 30.000 Beschäftigten, die in diesem Sektor tätig sind, betroffen. Ein weiterer Aspekt, den man ebenfalls im Auge behalten muss, ist die Tatsache, dass rund ein Drittel der im Gastgewerbe Beschäftigten aus dem Ausland kommt und überhaupt noch nicht klar ist, wie Arbeitsbewilligungen, Einreisen und Aufenthalte geregelt werden können. Viele Hotels und Restaurants werden aufgrund der strengen Vorgaben finanzielle Einbußen hinnehmen müssen und werden möglicherweise erst gar nicht aufsperren, wenn es sich nicht rechnet. Insofern ist hier auch mit einem Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen.
Gibt es im Gegenzug vielleicht auch Bereiche, die einen Aufschwung verzeichnen konnten?
Es gibt auch Gewinner in dieser Krise. Dazu zählen Lebensmitteleinzelhandel, Onlinehandel, Hauszulieferung, Software-Hersteller und -Händler, Streaming-Anbieter, Online-Medien, Hersteller von Desinfektionsmittel und Hygieneartikel, Schutzausrüstung sowie allgemein Reinigungs- und Desinfektionsfirmen.
In einer Ihrer kürzlich veröffentlichten Presseaussendung meinten Sie, dass die öffentliche Hand die Kraft hätte, die Krise abzufedern. Reichen die bisher gesetzten Maßnahmen wie z.B. günstige Kredite? Müsste die Landesregierung Unternehmen nicht direkt mit Förderungen unterstützen?
Derzeit lässt sich nicht abschätzen, wie sich die Krise entwickeln wird. Es wäre deshalb unseriös, irgendwelche Zahlen in den Raum zu werfen und Forderungen zu stellen, die jeder Grundlage entbehren. Wichtig ist, dass die Politik verstanden hat, dass Handlungsbedarf besteht. Nicht zu handeln wäre langfristig teurer als zu handeln. Ohne öffentliche Investitionen zur Abfederung der Krise könnte es unter Umständen zu einem Kahlschlag in der Südtiroler Firmenlandschaft kommen und damit zu Massenarbeitslosigkeit führen. Die Unterstützung eines Heeres an Arbeitslosen, möglicherweise sogar über Jahre hinweg, wäre letztendlich teurer als die derzeit getroffenen Unterstützungsmaßnahmen. Im Vergleich zu anderen Regionen hat Südtirol den Vorteil eines schuldenfreien Landeshaushaltes, weshalb Kredite über Südtirol-Bonds zu relativ günstigen Konditionen aufgenommen werden können, mit denen wiederum die Wirtschaft unterstützt werden kann. Falls sich die Wirtschaft schnell erholt, wird man in der Lage sein, diese Kredite innerhalb weniger Jahre zurückzuzahlen.
Gibt es bereits erste Erkenntnisse über die langfristigen Folgen für den Arbeitsmarkt? Beispielsweise, dass eine Abkehr vom Massentourismus stattfinden wird und demzufolge weniger Arbeitskräfte in diesem Bereich gesucht werden? Dass im Gegenzug soziale Berufe mehr Wertschätzung erfahren und auch besser entlohnt werden?
Aus heutiger Sicht lässt sich schwer absehen, welche Langzeitfolgen die Krise am Arbeitsmarkt hinterlassen wird. Gerade im Tourismussektor konnten wir den Fall von einem Extrem ins andere beobachten – sozusagen vom „Overtourism“ zum „Undertourism“. Die Herausforderung wird darin liegen, einen nachhaltigen Mittelweg zu finden. Wie sich die Krise auf 5-Sterne-Hotels auswirkt, kann man derzeit noch nicht sagen. Pensionen und Gastbetriebe mit einem oder zwei Sterne werden es meiner Meinung nach in Zukunft allerdings noch schwerer haben. Denn zur derzeitigen Krise gesellt sich noch der Konkurrenzkampf mit den Urlaub-am-Bauernhof-Betrieben und Airbnb.
Dass bestimmte Berufe in Erziehung, Pflege und Betreuung, die vornehmlich von Frauen ausgeübt werden, unterbezahlt sind, das war bereits vor Corona ein Problem. Vielleicht hat uns die Pandemie dieses Ungleichgewicht noch mehr vor Augen geführt.
Südtirol im Home-Office – wird uns diese Erfahrung nachhaltig prägen und uns mehr Gleitzeit/Teilzeit/Home-Office Arbeitsmodelle bescheren? Ist vielleicht auch ein neuer Technologieschub zu erwarten?
Ich würde diese möglichen Entwicklungen unabhängig voneinander sehen und trennen. Einerseits ist ein gewaltiger Technologieschub festzustellen, so mussten sich von heute auf morgen die Arbeitnehmer auf Homeoffice umstellen. Softwarelösungen, Head-Sets für Videokonferenzen und Laptops waren deshalb zeitweise ausverkauft. Andererseits findet derzeit ein großes Experimentieren mit verschiedenen neuen Arbeitsmodellen statt.
Meiner Meinung nach stehen wir erst am Beginn des digitalen Wandels. Videokonferenzen und Online-Weiterbildung werden in Zukunft zum Standard gehören. Auf den Außendienst oder klassische Meetings wird man weiterhin zurückgreifen, aber das wird wohl eher die Ausnahme und nicht die Regel sein. Erstaunt hat mich persönlich, dass das Südtiroler Breitbandnetz mit der rasant gestiegenen Datenmenge gut klargekommen ist.
Was die Arbeitsmodelle betrifft, muss Homeoffice gesetzlich und kollektivvertraglich klar geregelt werden. Das Coronavirus hat uns gezeigt, dass eine ständige Anwesenheit im Büro nicht notwendig ist, deshalb glaube ich, dass sich Mischformen durchsetzen werden, beispielsweise vier Tage Bürodienst und ein Tag Arbeit von Zuhause aus. Eine ausschließliche Homeoffice-Tätigkeit wird allerdings für viele nicht möglich sein. In den vergangenen Wochen habe ich genug Klagen von Arbeitnehmern gehört, die sich ihren Computer mit ihrem Lebenspartner und den Kindern teilen mussten. Homeoffice kann für Familien auch zum Home-Horror werden.
Die Krise hat uns auch gezeigt, wie abhängig wir von ausländischen Produkten und Dienstleistungen sind. Wird auch hier ein Umdenken stattfinden müssen, wie AFI-Präsident Dieter Mayr kürzlich gefordert hat? Muss mehr Wert auf „Made in Südtirol" gelegt werden – angefangen beim Textilbereich – Stichwort Schutzmasken – bis hin zur Lebensmittelbranche – auch trotz höherer Produktions- und Lohnkosten?
Die Krise hat uns anschaulich die negativen Seiten einer globalisierten und arbeitsteiligen Weltwirtschaft vorgeführt. Dieses Wirtschaftsmodell hatte allerdings schon vor der Corona-Krise Risse bekommen. Die Klimadebatte und der schwelende Handelskrieg zwischen den USA und China sind nur zwei Dinge, an denen die negativen Folgen der Globalisierung sichtbar werden. Die Preise für im Ausland produzierte Güter beinhalten nämlich nicht die „sozialen“ Kosten, die durch den Welthandel entstehen. Weder werden die Arbeiter in Billiglohnländern angemessen bezahlt, noch werden die ökologischen Schäden in die Transportkosten miteingerechnet. Darüber hinaus werden durch großzügige Exportförderungen Warenflüsse, auch die unsinnigsten, massiv gefördert, anstatt sie einzudämmen. Ein erster Schritt wäre somit, über eine Ökosteuer die Marktpreise zu korrigieren. Die Auslagerung von Produktionstätigkeiten in Billiglohnländer und die steuerliche Optimierung durch Rechtssitzverlegung in Steueroasen hat zusätzlich dazu geführt, dass den Staatshaushalten hohe Steuereinnahmen entgehen. Weltweit operierende Konzerne konnten hohe Gewinne einfahren und üben inzwischen großen politischen Einfluss aus. Klein- und Mittelbetriebe dagegen können mit diesen Wirtschaftskolossen nicht konkurrieren und gewinnbringend wirtschaften. Um den Einfluss und die Macht dieser Großkonzerne zu brechen, braucht es allerdings internationale Abkommen, in denen sich die einzelnen Staaten dazu verpflichten, kein Steuerdumping zu betreiben. „Made in Südtirol" mag zwar vor dem Hintergrund der Corona-Krise einen Aufschwung erfahren, ein langfristiger Erfolg wird einem Wirtschaftsmodell, in dem sich lokale Kreisläufe schließen, nur dann beschieden sein, wenn die effektiven Umweltkosten, die durch den Transport eines Apfels von Neuseeland nach Südtirol entstehen, auf den Preis umgelegt werden.
Interview: at