Politik
„Solange die Grenze zu ist, kommen die Gäste nicht!“
26.05.2020
Nicht nur für die Grenzgemeinde Brenner bedeutet eine geschlossene Grenze wirtschaftliche Verluste, sondern für das gesamte Wipptal und schlussendlich für ganz Südtirol. Welche Auswirkungen die Weigerung Österreichs hat, sich zeitnah für eine Öffnung auszusprechen, und die Unfähigkeit der Europäischen Union, eine gemeinsame Strategie zu finden, erklärt Franz Kompatscher, Bürgermeister der Gemeinde Brenner, im Gespräch mit dem Erker.
Herr Bürgermeister Kompatscher, vor Kurzem erklärte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass die Grenze zu Italien bis auf Weiteres geschlossen bleibt. Gerade für die Gemeinde Brenner keine einfache Situation.
Franz Kompatscher: Nicht nur für das Dorf Brenner, das von dieser Entscheidung am stärksten betroffen ist, sondern auch für das gesamte Wipptal hat eine längerfristige Grenzschließung große wirtschaftliche Verluste zur Folge. Rund 75 Prozent unserer Besucher sind Tagesgäste und Touristen aus dem bayerischen und Tiroler Raum. Solange die Grenze zu ist, kommen diese Gäste nicht. Die Wiedereröffnung des Brenner Outlet Centers wurde auf Mitte Juni festgesetzt, in der Hoffnung, dass die Grenzen geöffnet werden – derzeit sieht es allerdings danach aus, dass die Österreicher und Tiroler nicht zu uns können, weil sich Österreich nach wie vor gegen eine Grenzöffnung stemmt. Dies hat wirtschaftliche Folgen für viele Bereiche, so z.B. für Gastronomie, Handel und andere Dienstleistungsbetriebe.
Die Lösung für dieses Problem muss eine europäische sein, indem sich die Staaten auf einheitliche Abläufe, Standards und Regeln bei Einreisen und Gesundheitskontrollen einigen. Für den Gast wiederum bedeuten fehlende Garantien und klare Regeln einen großen Unsicherheitsfaktor. Europa sollte hier schleunigst aufwachen, ansonsten wird die heurige Sommersaison europaweit für die Tourismusbetriebe zu einer Katastrophe – auch wenn zurzeit jedes Land versucht, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.
In seinem Interview, das er dem Erker vor Kurzem gegeben hat, propagierte Tourismuslandesrat Arnold Schuler einen europäischen Weg im Sinne von regionalen Lösungen.
Auf regionaler Ebene könnte es auch in schwierigen Situationen sehr gut funktionieren, indem man beispielsweise einen kleinen Grenzverkehr einrichtet, wo sich jeder Tiroler und Südtiroler innerhalb der Europaregion frei bewegen könnte. Eine solche Regelung wäre relativ leicht zu kontrollieren und der Bevölkerung wäre damit sehr geholfen. Zudem wäre eine solche Lösung relativ schnell umsetzbar. Grundsätzlich muss man aber die Courage haben – die leider bis dato fehlte – die unterschiedlichen Situationen gemäß den Fakten zu bewerten. In der Lombardei stellte sich die Situation der Corona-Pandemie völlig anders dar als beispielsweise in der Basilicata, wo es kaum Krankheitsfälle oder positiv Getestete gab. Man kann also Regionen mit schwerwiegenden Verläufen nicht in einen Topf mit Regionen werfen, in denen der Verlauf relativ milde war.
Wie ist derzeit die Situation am Brenner?
Für den Grenzübertritt gibt es die bekannten Ausnahmen wie beispielsweise für Pendler, Studenten und für Personen, die triftige familiäre Gründe nachweisen können. Wir Bürger der Gemeinde Brenner können aber beispielsweise nicht 50 Meter weiter zur Tankstelle gleich hinter der Grenze fahren – wenn man nicht gerade auf einen Polizisten mit Hausverstand trifft. Der Grenzverkehr ist beinahe völlig zum Erliegen gekommen, die Pkws werden auf die Staatsstraße umgeleitet, die Lkw werden auf der Autobahn abgefertigt.
Interview: at