Anfang April stellte die Biogas Wipptal GmbH dem Präsidenten des nationalen Bauernverbandes Confagricoltura und zugleich Vize-Präsident des europäischen Bauernverbandes COPA, Massimiliano Giansanti, auf dessen Anfrage hin das Umweltprojekt Biogas Wipptal und die neue Unternehmensstrategie, inklusive der Teilprojekte, vor.
Neben den Gastgebern, Präsident Klaus Stocker und Vize-Präsident Josef Mayr, waren Fabrizio Buffa, Head of gas business development (Iveco), die Gesellschafter Alex Gasser (Gasser Iveco) und Hannes Baumgartner (Fercam), sowie Lorenzo Maggioni, Research and Development Manager des Nationalen Biogas-Konsortiums CIB, Dr. Elio Dinuccio, Agrar-Wissenschaftler der Universität Turin, Luisa Brega, Commercial Director 2 LNG srl sowie Bruno Giampieretti für Netafim anwesend.
Johanna Plasinger Scartezzini, ehemalige Direktorin des Landesinstituts für Statistik ASTAT und seit Jahrzehnten im Umweltschutz aktiv, hielt im Rahmen eines Fachvortrages nicht nur Rückschau auf die bewegte Geschichte des Unternehmens, sondern erläuterte die zukünftigen Tätigkeitsbereiche des Unternehmens. Die technischen Details der neuen Anlage – zurzeit wird am 2. Baulos gearbeitet – stellte Ingenieur Johann Röck vom Ingenieurbüro Plan Team vor.
Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Klaus Stocker, Präsident der Biogas Wipptal GmbH, alle Anwesenden, in besonderem Maße die Vertreter der Bauernverbände Massimiliano Giansanti und Leo Tiefenthaler, Obmann des Südtiroler Bauernbundes, der ebenfalls zur Vorstellung des Projektes ins Wipptal gekommen war. „Wir kämpfen bereits seit Jahren darum, dieses Projekt voranzubringen. Wurde die Biogas Wipptal GmbH ursprünglich von Landwirten aus der Umgebung gegründet, so konnten wir inzwischen namhafte Investoren aus der Industrie und Transportwirtschaft gewinnen“, so Stocker, der erklärte, dass man sich nun auf der Zielgeraden befinde und in wenigen Monaten der Neubau in Betrieb genommen werden könnte.
Die neue Unternehmensstrategie sieht vor, die Kapazität der Anlage auf das Doppelte zu erweitern und durch den Gärprozess von Gülle und Festmist nicht nur Biogas für die Stromerzeugung und für die Herstellung von Biodünger zu gewinnen, sondern auch Bio-LNG und in Zukunft – Wasserstoff – sowie natürliche Kohlensäure, die in der Lebensmittelherstellung eingesetzt werden kann. Die bereits bestehende Produktion von Biodünger soll auf den Detailhandel ausgeweitet werden. Ein weiteres innovatives Projekt, NutriDrip 4.0, wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Netafim entwickelt, um im Obst-, Wein- und Gemüseanbau die Pflanzen computergesteuert mit den nur jeweils erforderlichen Nährstoffen zu versorgen und gleichzeitig bis zu 45 Prozent Wasser einzusparen. „Mit all diesen Maßnahmen entsteht im Herzen Europas eine Biogasanlage, die nun nicht nur Kreisläufe schließt, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung leistet“, betonte Scartezzini.
Dilemma Nitratüberschuss
Die Biogas Wipptal wurde gegründet, um ein Dilemma zu lösen. Im Wipptal sind auf einer Fläche von rund 4.800 ha rund 11.100 Großvieheinheiten registriert: Umgerechnet sind das 2,3 GVE/ha – wären da nicht die Steillagen, wo die Ausbringung von Mist und Gülle nur bedingt möglich ist. Diese Hänge machen immerhin 40 Prozent der Grünflächen aus und führen dazu, dass die restlichen 60 Prozent der Fläche nicht ausreicht, um die Nährstoffe so gleichmäßig auszubringen, damit die Obergrenze der europäische Nitratrichtlinie von 170 kg N/ha eingehalten werden kann.
Südtirol habe, was diesen Punkt angeht, ein grundsätzliches und flächendeckendes Problem. Selbst, wenn die vom Land Südtirol definierte Höchstgrenze von 2,5 GVE/ha rigoros eingehalten würde, würden die Stickstoffemissionen mit ca. 310kg/N pro ha die europäische Gesetzgebung zum Schutz des Grundwassers um nahezu den doppelten Wert überschreiten, brachte Scartezzini das Problem auf den Punkt. „Das macht den Handlungsbedarf mehr als deutlich.“ Um die EU-Richtwerte einzuhalten, müssten die GVE auf 1,4 pro Hektar reduziert werden, was allerdings auch eine Reduzierung der Milchproduktion um 45 Prozent zur Folge hätte. Beim derzeitigen Milchpreis würde dies nicht nur die Landwirte in große Schwierigkeiten bringen, sondern wohl auch die Milchhöfe. Hier sind alle, vor allem Politik und Verbraucher gefordert, eine Lösung zu finden, betonte Scartezzini. Die Geruchsbelästigung, die beim Ausbringen von Gülle entsteht, führe außerdem zu Konflikten mit dem Tourismus und – manchmal auch mit Anrainern. Ein weiteres Problemfeld sei die zunehmende Urbanisierung, die zu Verlusten von landwirtschaftlicher Nutzfläche führt.
Der Kraftstoff von Morgen
Die Klimaerwärmung sowie die Sensibilisierung der Konsumenten und der Wirtschaft fordern zunehmend auch vom Transportsektor eine Entwicklung in Richtung „grüner“ Mobilität und zu alternativen Antriebstechnologien. In diesem Zusammenhang ist auch das Engagement von Unternehmen wie Iveco Gasser, Transbozen und Fercam zu sehen, die kürzlich ihren Einstieg bei der Biogas Wipptal GmbH bekannt gegeben haben. Bio-LNG gewinne im Schwerverkehr zunehmend an Bedeutung. Eine wesentliche Senkung des CO
2- und NO
x-Ausstoßes durch den Umstieg auf Bio-LNG liege durchaus im realen Bereich. Auch die Wirtschaftlichkeit sei gegeben, da immer mehr Großkonzerne wie Lidl, Amazon, Ikea auf einen umweltschonenden Transport setzen, betonte Lorenzo Buffa. Auch der per Videoschaltung zugeschaltete Präsident des italienischen Biogas-Konsortiums CIB, Piero Gattoni, berichtete vom zunehmenden Interesse seitens des Industriesektors. Landwirtschaft, Industrie und Transportsektor müssten gemeinsam alternative Wege beschreiten, um den CO
2-Ausstoß zu reduzieren. Das Konzept der Biogasanlage Wipptal, welches sich eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zum Ziel setzt, produziere nicht nur Energie, Dünger und Kraftstoff „100 Prozent made in Italy“, sondern sei auch in der Lage, den Landwirtschaftssektor einer Region grundlegend zu transformieren, betonte Gattoni, der dafür warb, dieses Modell auch auf andere Regionen zu übertragen, denn die Anlage im Wipptal zähle wohl zu den innovativsten in Europa.
Die Bedeutung für den Landwirtschaftssektor und den positiven Aspekt für die Kreislaufwirtschaft unterstrich auch der Agrarwissenschaftler Elio Dinuccio von der Universität Turin, der betonte, dass ohne diese Anlage viele Landwirte gezwungen wären aufzugeben. Lorenzo Maggioni, Research and Development Manager des Biogas-Konsortiums, nannte als strategisches Ziel, Italien zum weltweiten Vorreiter in der Biomethan-Produktion zu machen und damit zum Modell für eine nachhaltige Mobilität zu werden. „Während die landwirtschaftlichen Betriebe einerseits einen wichtigen Beitrag leisten könnten, könnten gleichzeitig die negativen Auswirkungen intensiver Landwirtschaft auf die Umwelt minimiert werden“, so Maggioni, der zudem die Ergebnisse einer Studie zitierte, wonach Bio-Methan betriebene Schwerfahrzeuge sogar einen negativen CO
2-Fußabdruck aufweisen würden. Der Beitrag der Biogas Wipptal sei daher von großer Bedeutung. Massimiliano Giansanti, Präsident des nationalen Bauernverbandes Confagricoltura, unterstrich die Bedeutung des Landwirtschaftssektors, dessen Aufgabe es sei, die stetig wachsende Bevölkerung zu ernähren. Auch im Kampf gegen die Klimaerwärmung komme der Landwirtschaft zunehmend eine größere Bedeutung zu, so Giansanti, der in diesem Zusammenhang von Agricoltura 4.0 und der Tatsache sprach, dass auch die Landwirtschaft auf Innovation setzen müsse.
Zum Abschluss des Vortrages wies Scartezzini auch auf die Rolle der Konsumenten hin, die ebenso dazu beitragen können, die Energiewende zu schaffen und den Weg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu ebnen. „Noch ist es möglich, die Klimaerwärmung in Grenzen zu halten, in wenigen Jahren wird es aber zu spät sein, wenn wir nichts tun“, so Scartezzini. Die Politik sei nun gefordert, die richtigen Maßnahmen zu setzen.
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