In einer Stellungnahme spricht sich die AVS-Sektion Wipptal mit ihren Ortsstellen Freienfeld, Gossensaß, Mareit, Pfitsch, Pflersch und Sterzing gegen die Errichtung von Windkraftanlagen am Sandjoch aus.
Ziel und Zweck des AVS sind gemäß Artikel 2 der Satzung das Bergsteigen, Wandern und andere alpine Sportarten zu fördern und die Kenntnis der Gebirge zu verbreiten sowie die Tätigkeit und Interessen im Bereich Natur- und Umweltschutz auf dem gesamten Landesgebiet zu verfolgen, die Ursprünglichkeit der Berglandschaft zu erhalten sowie ihre Tiere und Pflanzen zu schützen. Außerdem ist es eine besondere Aufgabe des AVS, die alpine Kultur, die Tradition und das Brauchtum des Landes zu fördern.
„Wir bewegen uns in der Natur und betreiben aktiven Naturschutz“ steht im Leitbild des AVS. Um diesen Punkt des Leitbildes genauer zu definieren, wurde das AVS-Grundsatzprogramm für Natur und Umwelt erarbeitet. Die aktuelle Version wurde 2024 von der AVS-Hauptversammlung genehmigt. Das AVS-Grundsatzprogramm widmet sich, neben weiteren, dem Thema „Energie“ und stellt die Notwendigkeit des Energiesparens fest. Ein „Gesamtkonzept zur Nutzung aller erneuerbaren Energiequellen“ auf Landesebene muss „den Anforderungen des Natur- und Landschaftsschutzes gerecht werden“. Unter dem Punkt „Tabuzonen festlegen“ heißt es: ,,Ökologisch sensible und landschaftlich wertvolle Gebiete müssen frei von Anlagen und Infrastruktur für Energiegewinnung und -transport bleiben.“ Der Punkt „Negative Umweltauswirkungen vermeiden“ weist darauf hin, dass „jedes Projekt eine genaue Überprüfung der Auswirkungen auf Lebensräume und Arten, Mensch und Landschaftsbild“ erfordert. Die für den Bau und Betrieb notwendigen Infrastrukturen müssen ebenfalls betrachtet werden.“
Die AVS-Sektion Wipptal bekennt sich mit ihren Ortsstellen entsprechend dem Grundsatzprogramm des AVS zur vorrangigen Notwendigkeit von Einsparkonzepten und einer energiesparenden Handlungsweise im Bereich Energie. Ebenso wird die Wichtigkeit der Nutzung erneuerbarer Energiequellen betont, jedoch hält es gleichzeitig fest, dass es „Tabuzonen“ für Anlagen und Infrastrukturen zur Energiegewinnung geben muss, wie etwa in Schutzgebieten und deren Vorfeldzonen sowie in landschaftlich wertvollen Gebieten.
Die geplante Errichtung von Groß-Windkraftanlagen am Sandjoch in der Gemeinde Brenner steht diesen Zielen entgegen. Nicht nur in der Errichtung der kolportierten Windräder samt großflächigen Fundamenten selbst, sondern auch in der notwendigen Schaffung von Zufahrtsmöglichkeiten für schweres Baugerät und der Verlegung von Energiekabeln sowie den mit dem laufenden Betrieb eines Windparks einhergehenden Belastungen erkennen wir den Beginn einer Industrialisierung der alpinen Landschaft. Die Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes wie auch ökologische, landschaftsästhetische und alpintouristische Werte werden gefährdet.
Das Sandjoch liegt am Eingang des Pflerschtales und die gesamte Region ist alpintouristisch von großer Bedeutung. Zahlreiche Wanderwege durchziehen das Gebiet und nicht nur lokal bedeutsame Steige wie der Pflerscher Höhenweg, sondern auch Staatsgrenzen überschreitende Weitwanderwege, wie der Tiroler Höhenweg, verlaufen entlang des Sandjochs. Der Obernbergersee unweit des Sandjochs stellt ein touristisch äußerst beliebtes Ausflugsziel dar. Nicht nur im Sommer, auch im Winter ist das Pflerschtal und das Obernbergtal auf österreichischer Seite bei Bergsportlern äußerst beliebt und lokal hat sich ein gut funktionierender sanfter (Berg-)Tourismus etabliert, der durch die Errichtung von Windrädern Schaden nehmen würde.
Auf österreichischer Seite des Sandjochs befindet sich das Landschaftsschutzgebiet „Nösslachjoch – Obernberger See – Tribulaune“. Nur wenige hundert Höhenmeter unterhalb des Sandjochs liegt der als Naturdenkmal geschützte Obernberger See. Das Gebiet ist nicht nur von großer landschaftlicher Schönheit, sondern auch von besonderer ökologischer Wertigkeit. Mehrere gefährdete Hühnervogelarten leben im Gebiet und besonders die scheuen Raufußhühner wären erheblich betroffen von der Unruhe, die ein Windparkprojekt bringen würde. Die lokalen Populationen sind von überregionaler Bedeutung, da ein Austausch zwischen den Vorkommen auf Süd- und Nordtiroler Seite stattfindet. Arten·bilden grenzüberschreitende (Meta-)Populationen, die daher im Zusammenhang zu betrachten sind. Am Sandjoch sowie in dessen Umfeld sind neben den Hühnervögeln weitere streng geschützte Vogelarten zu beobachten, wie etwa der Steinadler. Aufgrund der geographischen Lage und der verhältnismäßig geringen Meereshöhe kommt dem Gebiet auch große Bedeutung als Wanderkorridor für verschiedene Wildtiere zu. Der Grenzkamm zwischen Sattelberg und Portjoch ist eine stark frequentierte Vogelzugsroute, aber auch andere Tierarten nutzen die Gegend für ihren Wechsel zwischen Winter- und Sommergebieten.
Die Ursprünglichkeit und Schönheit des Pflerschtales ist weithin bekannt, wie sich nicht nur an den Besuchern erkennen lässt, sondern ebenso an Bildern in Fernsehsendungen und Magazinen. Touristisch wird mit der alpinen Landschaft intensiv geworben, beispielsweise zeigt auch der beliebte Musiker Herbert Pixner bei seinen Auftritten gerne eine Aufnahme des Pflerscher Tribulaun als Bühnenbild. Die Ausmaße der Windkraftanlagen und die exponierte Lage am Sandjoch führen dazu, dass diese weithin sichtbar wären und das Landschaftsbild nachhaltig schädigen würden. Allein am viel begangenen Dolomieu-Weg, der vom Roßkopf ins Pflerschtal führt, wären die Windräder von zumindest fünf lokal touristisch bedeutenden Almen aus gut einsehbar. Ferner ist festzuhalten – wie bereits der Staatsrat in seinem ablehnenden Urteil zum ehemals am Sattelberg geplanten Windparkprojekt nachdrücklich aufgezeigt hat – dass die Landschaft an sich einen Wert hat und dieser von verfassungsrechtlicher Relevanz ist. Die alpine Bergwelt ist Teil der lokalen Geschichte, stiftet Identität und ist prägend für das kulturelle Erbe. Industrieanalgen, wie etwa Groß-Windräder, in einer weitgehend unberührten Landschaft zu errichten, steht im klaren Widerspruch zu einem bewussten und auch nachhaltigen Leben. Ein nachhaltiges Leben kann nur dort stattfinden, wo Respekt gegenüber der Geschichte, der Natur, den Tieren und den Menschen herrscht.
Diese und weitere Aspekte wurden bereits im Rahmen des ehemaligen Windparkprojektes am Sattelberg geprüft. Sowohl das Verwaltungsgericht in Bozen als auch der Staatsrat in Rom haben die Bedenken bestätigt. Der Sattelberg liegt nur unweit des Sandjochs und die Kritikpunkte am Windparkprojekt am Sattelberg haben auch für das Sandjoch Gültigkeit. Schon damals hat beispielsweise das Amt der (Nord-)Tiroler Landesregierung klar ablehnende Aussagen zu einem möglichen Projekt auch am Sandjoch getätigt.
Was hat sich seit dem Urteilspruch des Staatsrates in Sachen Windparkprojekt am Sattelberg im Jahr 2014 geändert? Die Verbauung in Tallagen hat zugenommen und anstelle von zwölf Millionen fahren im Jahr 2024 14 Millionen Fahrzeuge über den Brenner. Die Wichtigkeit von naturnahen Erholungs- und Rückzugsräumen für Mensch, Tier und Natur hat noch weiter zugenommen. Mit Blick auf das Themenfeld Energie hat die Notwendigkeit der Realisierung von Einsparpotentialen sowie der Optimierung und Modernisierung von bestehenden Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energiequellen weiter an Bedeutung gewonnen. Im Bestreben, eine sogenannte Energiewende herbeizuführen, wäre es jedoch ein Fehler, wenn diese auf Kosten des Natur- und Landschaftsschutzes vorangetrieben werden würde. Neuerschließungen von erneuerbaren Energiequellen haben naturverträglich und vorzugsweise in anthropisierten Gebieten zu erfolgen.
Wir appellieren an die Gemeinde Brenner, Abstand von der Errichtung von Windkraftanlagen am Sandjoch zu nehmen, und bitten alpine Vereine, Naturschutzorganisationen sowie natur- und bergverbundene Menschen, uns in unserer ablehnenden Haltung gegenüber diesem Projekt zu unterstützen.
Alfred Plank,
für die AVS-Sektion Wipptal