Sonne, Firn und Frühling. Aus der Skitourensaison wurde heuer nichts. Über zwei Monate lang herrschte wegen Corona auch in den Bergen Stillstand. Seit gestern (25. Mai) dürfen Berg- und Skiführer sowie Wanderleiter ihre Arbeit wieder aufnehmen. Erst vor wenigen Tagen hatte der Erker bei Wipptaler Bergführern nachgefragt, wie sie mit der Corona-Krise und der ungewissen Zukunft umgehen. Und inwieweit Corona den Bergtourismus verändern könnte. Ein Stimmungsbild.
Covid-19-Pandemie aus Sicht eines Bergführers
Wer hätte das gedacht? Als Alpenbewohner im Allgemeinen und als Bergführer im Speziellen hatte man schon länger damit begonnen, sich mit der Verstärkung der Natur-Phänomene in den Bergen zu arrangieren. Und jetzt das! Mitten in der beste Skitourensaison seit Jahrzehnten hieß es innerhalb von wenigen Tagen „lock down“ durch Covid-19. Ein mikroskopisch kleiner Erdenbewohner hat die „Spitze der Nahrungskette“ in die Knie gezwungen. Anstatt gemeinsam
berauschende Tiefschnee- und Firnabfahrten zu machen, wandelten wir wochenlang im „Physical-Distancing-Modus“ auf dem messerscharfen Grat zwischen Corona und Ordnungshütern aller Couleurs.
Beim Sinnieren über eine berufliche und private Zukunft möchte ich drei Punkte vorausschicken, an denen ich mich bisher fast ohne Unterbrechung orientiert habe und mich weiterhin orientieren werde:
Es gibt weltweit keinen virenfreieren Ort als menschenleeres oder menschenarmes Hochgebirge.
Als Individuum ist man sich und anderen gegenüber nirgendwo achtsamer als dort, wo urbane Regeln keine Hilfe mehr sind und wo man in der Folge auf sich allein oder maximal auf einzelne Partner gestellt ist.
Die gesunde Lebensweise, wie sie im Gebirge notgedrungen stattfindet (viel Bewegung, wenig Essen, frische Luft ...) macht die Wahrscheinlichkeit, ein Intensiv-Bett besetzen zu müssen, um ein Vielfaches geringer, als wenn man unfreiwillig wie Rilkes Panther den urbanen Gitterstäben entlangstreift.
Auch wenn ich als Bergführer in der Auseinandersetzung mit dem Ungewissen sehr geübt bin, erfordert der Blick auf den vor mir liegenden Bergsommer und auf die nächste Wintersaison meine ganze Gelassenheit.
Als „Touristiker“ bin ich, gleich wie Hotels, Gasthöfe und Schutzhütten, stark von einer europäischen Grenzregelung bzw. Grenzöffnung abhängig. Die Einhaltung aller Schutzmaßnahmen hingegen stellen für einen Bergführer ein vergleichsweise geringes Problem dar. Körperliche Distanz liegt beim Klettern und auf Skitour in der Natur der Sache und auf das Gipfel-Bussi und auf Umarmungen kann ich gerne verzichten. Das in Jahrzehnten verinnerlichte Gebot, auf die Unversehrtheit unserer Gäste zu achten, wird einfach um ein, zwei effiziente Hygienemaßnahmen erweitert.
Sollte es mir in den nächsten Monaten trotzdem nicht erlaubt sein, selbstständig für mein Einkommen zu sorgen, werde ich mit meiner Familie den in den Bergen erlernten Minimalismus auch in den Alltag umsetzen. Nicht verzichten werde ich hingegen auf das Bergsteigen selbst! Dabei geht es mir weder um den Erhalt der Fitness, noch um Bewegungsdrang oder Leistung, sondern einfach um die aktive Pflege einer Intimität, die im Laufe meines Lebens mit der Bergwelt entstanden ist.
Hanspeter Eisendle, Sterzing
„Diese Krise ist ähnlich wie eine Bergtour“
Privat und beruflich ist diese Krise eine schwierige Zeit, aber das ist sie wohl für uns alle. Es ist, wie es ist. Sich selbst zu bemitleiden und Forderungen zu stellen, bessert die Lage nicht. So wie wir heute über diese Krise sprechen, so werden wir später auf sie zurückblicken. Alles in allem überwiegt bei mir das Positive. Ich genieße die freie Zeit für mich und mit meiner Familie, helfe bei den Hausaufgaben und mache den Haushalt. Mit meinen Stammgästen bin ich in Kontakt. Anfangs haben wir die Touren um wenige Wochen, dann auf unbestimmte Zeit verschoben. Nun taste ich mich nach vorne, Tag für Tag, Woche für Woche, Schritt für Schritt. Diese Krise ist ähnlich wie eine Bergtour. Passen die Verhältnisse nicht, muss man abwarten, bis sich das Wetter und die Rahmenbedingungen bessern. Bis die Bergführersaison wieder richtig losgeht, wird wohl einige Zeit vorübergehen. Wenn es dann wieder soweit ist, freue ich mich, meine Gäste auf ihren Bergzielen zu begleiten.
Pauli Trenkwalder, Gossensaß
„Tragische Helden“
So richtig realisiert habe ich diese Krise erst, als die Skigebiete schließen mussten. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Für uns Freiberufler bedeutet diese Zeit einen Totalausfall an Einkommen. Ich habe für den Bonus von 600 Euro angesucht und bin um jedes Geld froh. Während Covid wurden Menschen in systemrelevanten Berufen zu neuen Helden. Jetzt, nach Corona, ist für mich jeder ein (tragischer) Held, der ohne Einnahmen über die Runden kommen muss. Am besten sind die dran, die arbeiten dürfen. Wer nichts zu tun hat, kann von Arbeit nur träumen.
Den Lockdown habe ich für Arbeiten in Haus, Wiese und Wald genutzt. Leider ist das für uns Bergführer wichtige Training auf der Strecke geblieben. Das Klettern hat mir sehr gefehlt. Ich habe zuhause keine Boulderwand oder andere Trainingsmöglichkeiten. Das hat sich nun gerächt. Der Laufsport war nur ein kleiner Trost.
Im Sommer werde ich wie jedes Jahr Wege sanieren und Klettersteige anlegen. Wenn Kurse geleitet werden dürfen, dann nur noch sehr kleine Gruppen. Heuer wird vieles, alles anders sein. Wir leben vom deutschen Gast. Die Regierungen werden ihren Bürgern aber empfehlen, im Heimatland Urlaub zu machen.
Die auferlegten Sicherheitsregeln einzuhalten ist in freier Natur einfacher als in geschlossenen Räumen. In den Bergen sind wir generell mit kleinen Gruppen unterwegs. Klettern ist mit maximal zwei Leuten möglich, Hoch- und Gletschertouren mit drei bis vier Personen. Nicht alle, die am Berg übernachten wollen, werden in den Hütten einen Schlafplatz bekommen. Vielleicht ist es für einige Gäste vorstellbar, auf den Hütten zu essen und in der Nacht zu biwakieren oder in einem Zelt zu schlafen. Das Bergsteigen kommt mit wenigen Mitteln aus.
Hubert Eisendle, Gossensaß
„Corona hat mich gebremst“
In den ersten März-Tagen saß ich auf einer Berghütte und lebte den Bergsteigeralltag: früh aufstehen, frühstücken, mit Skiern auf einen Berg steigen. Gäste betreuen, motivieren, helfen. Risiko einschätzen und Tage gestalten, die lange in Erinnerung bleiben sollen. So nimmt man nicht gleich wahr, was im Tal gerade passiert. Eine Woche später dann Lockdown und totale Ungewissheit über die berufliche Zukunft. Anpassungsfähigkeit ist jetzt gefragt.
Freiberufler in Risikoberufen sind darauf vorbereitet, dass nicht immer alles reibungslos läuft, dass man sich auch mal verletzen und damit arbeitsunfähig sein kann. So habe ich zwangsläufig beschlossen, brav zu Hause zu bleiben und die Zeit für Dinge zu nutzen, die ich sonst vernachlässigt habe. Kinder betreuen, Lehrer spielen, kochen ... alles Fertigkeiten, bei denen ich schnell improvisieren musste.
Die Zeit für mich neu strukturieren zu müssen, war eine positive Entdeckung. Auf meinen Reisen ins Himalaja hätte ich viel mitbekommen, wie man mit der Zeit sinnvoller umgehen könnte und welch großen Wert die Langsamkeit hat. Aber sobald man wieder zu Hause ist, wird man vom westlichen Stress eingeholt und rollt einfach mit.
Corona hat mich gebremst, hat mir die Zeit gegeben, meinen Lieben näherzustehen. Als wir wieder ins Freie konnten, habe ich bei den langen Spaziergängen Farben gesehen und die Stille genossen, die ich seit längerer Zeit nicht mehr so wahrgenommen hatte.
Das Bergsteigen und Wandern wird sich kaum ändern. Vielleicht ändern sich die Bergsteiger ein bisschen. Vielleicht sehen wir alle unsere Natur vor Ort mit anderen Augen und lassen sie in unseren Alltag einfließen lassen und nicht umgekehrt. Wir brauchen Abstand von Rekorden, Zeiten, Terminen ... schneller, höher, schwieriger.
Als unheilbarer Optimist bin ich überzeugt, dass dies ein besonderer Sommer wird. Alle werden die Bergwelt mehr schätzen und intensiver genießen. Ich schätze die Bergsteiger als verantwortungsvolle Menschen ein und bin überzeugt, dass die Einschränkungen bald gelockert werden. Wenn die Begeisterung für die Berge unter den Menschen bleibt, dann werden auch Bergführer wieder viel zu tun haben. Ich freue mich darauf, mich bald wieder anseilen zu dürfen.
Maurizio Lutzenberger, Freienfeld