Gesellschaft
Interview mit Kathrin Huebser, Vorsitzende des Landesverbandes der Sozialberufe
10.06.2020
Die Corona-Pandemie ist und bleibt ein großer Belastungstest für die Sozialfachkräfte. Kathrin Huebser, Vorsitzende des Landesverbandes der Sozialberufe, über die vergangenen Monate, den zunehmenden Druck der MitarbeiterInnen und das Ringen um mehr Wertschätzung.
Erker: Frau Huebser, durch den Coronavirus hat die Gesellschaft die MitarbeiterInnen in Sozialberufen zu neuen Helden emporgehoben. Wie geht es den Helden heute, nach Corona?
Kathrin Huebser: Helden waren wir immer schon. Aber erst durch Corona sind wir als Helden wahrgenommen worden. Dabei ist es gar nicht unser Ansinnen, Helden zu sein. Wir haben unseren Beruf gewählt, weil wir unsere Kompetenzen und unser Tun bestmöglich für den Menschen einbringen möchten. Die Corona-Zeiten haben gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist und wie sehr sie immer noch unterschätzt wird.
Vor allem im März und April lastete auf den MitarbeiterInnen ein großer Druck.
Ja. Wir haben uns in dieser „unsicheren Zeit“ bemüht, Sicherheit zu geben und trotz Abstandhalten Beziehungen zu gestalten, um ein Stück weit Normalität zu gewährleisten und zu vermitteln. Vielerorts waren wir der einzige soziale Kontakt zu den pflegebedürftigen Menschen, wir mussten Familie und Freunde ersetzen und noch mehr psychische Belastungen auffangen wie sonst schon. All dies unter einer Hülle von Schutzausrüstungen, die unsere Arbeit um das Hundertfache erschwert hat. Unsere Gegenüber wussten oft nicht wer gerade vor ihnen steht. Die Nachwirkungen sind noch immer zu spüren. In Bereichen mit infizierten Menschen arbeiten wir natürlich immer noch mit Schutzausrüstung. Schutzmaske ist sowieso Pflicht. Sie verdeckt den Großteil des Gesichtes und erschwert das Sprechen, auch zum Leidwesen der Senioren, die oftmals nicht mehr gut sehen und hören. Auch Menschen mit Behinderung lesen oftmals mehr in unserer Mimik als dass sie unsere Worte verstehen. Es bleibt eine tägliche Herausforderung. Gerade in der Seniorenbetreuung sind wir ein Risikofaktor für Ansteckungen. Dieser Satz ist immer im Hinterkopf. Zum Schutz der uns anvertrauten Menschen schränken wir seit Monaten unser eigenes Sozialleben ein. Wir sind vorsichtig und achten darauf, mit wem wir uns treffen.
Sie sagen, Corona habe vor allem in den Seniorenwohnheimen Schwachstellen aufgezeigt, die es schon vorher gab. Was meinen Sie damit?
Obwohl wir alle dem Virus stark ausgesetzt waren, haben in der Krise alle zusammengehalten. In Seniorenwohnheimen, wo immer wieder Personal ausfiel, sind landauf landab andere MitarbeiterInnen eingesprungen. Wie zum Beispiel MitarbeiterInnen für Integration, die normalerweise Kinder mit Behinderung in den Schulen betreuen. Es war selbstverständlich, sich beizustehen und einander zu helfen. Einige sind unter diesem Druck auch über ihre Grenzen gegangen. Manche wissen nicht, ob sie ihren Beruf so weiterhin ausüben können. Spätestens jetzt sind Themen anzugehen, auf die wir bereits seit Jahren aufmerksam machen. Wenn nicht jeder nach seinen Kompetenzen arbeiten kann führt dies früher oder später zu Druck und Überlastung. Auf lange Sicht ist das nicht tragbar. Die Arbeit der Sozialfachkräfte ist alles andere als leistungsgerecht und nach wie vor unterbezahlt. Auch die Rahmenbedingungen sind anzupassen, etwa, wie ältere Mitarbeiter ins Berufsleben integriert werden können. Wir bilden viel Personal aus, aber es gelingt uns nicht es zu halten. Vor allem die 24-Stunden-Rundumbetreuung ist mit dem Familienleben oft schwer zu vereinbaren. Deshalb müssen wir für die Zukunft attraktivere Modelle finden. Dazu gehört in erster Linie auch ein angemessener Lohn.
In der Corona-Zeit hat die Öffentlichkeit ihr Auge vor allem auf die Seniorenwohnheime gelenkt. Der Hauspflegedienst rückte in den Hintergrund.
Auf diese Wahrnehmung haben auch wir als Landesverband mehrmals hingewiesen. Nicht nur die Arbeit der Hauspflege, sondern auch jene der MitarbeiterInnen in der Betreuung von Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Die Mitarbeiterinnen der Hauspflege haben sich bemüht, die Versorgung an den ihnen anvertrauten Menschen zu gewährleisten. Mancherorts wurde anfangs die Schutzausrüstung aus eigener Tasche bezahlt, weil keine zur Verfügung stand. Der Hauspflegedienst wurde reduziert, damit MitarbeiterInnen im Seniorenwohnheim aushelfen konnten. Gleichzeitig musste der Dienst aber eine große Lücke auffüllen und neben den Hauspflegeklienten auch jene Menschen betreuen, die wegen des Aufnahmestopps nicht im Altenheim aufgenommen werden konnten. Die Arbeit auf Distanz, obwohl alle mehr Nähe gebraucht hätten, war für alle Bereiche des Sozialwesens eine große Herausforderung.
Welche Rückmeldungen haben Sie von MitarbeiterInnen aus dem Wipptal erhalten? Welche waren für sie die größten Herausforderungen?
Wie überall in Südtirol haben uns auch MitarbeiterInnen aus dem Wipptal auf ähnliche Mängel hingewiesen wie das lange Warten auf einen Test und das lange Warten auf die Testergebnisse. Die Unterbrechung einer Infektionskette sollte immer gleich funktionieren. Doch die Quarantäne-Anweisungen und die korrekte Handhabung mit Infizierten waren nicht immer klar verständlich. Das hat alles erschwert. Oft wusste man nicht, wer wie lange in Quarantäne muss. Leider gab es aus unserer landesweiten Sicht keine einheitliche Vorgehensweise und Kommunikation zwischen Entscheidungsträgern und MitarbeiterInnen. Gerade die MitarbeiterInnen haben sich deshalb oft alleine gefühlt. Aber es war die erste Situation dieser Art, die wir erlebt haben. Wir als Verband wollen nicht schimpfen, sondern überlegen, was wir daraus lernen und in Zukunft besser machen können. Dazu gehört in erster Linie, die MitarbeiterInnen mehr einzubeziehen und die Informationswege verbessern.
Im Herbst wird eine zweite Welle befürchtet. Ist man dafür gerüstet?
Wir hoffen stark, dass die bestehenden Krisenstäbe aus ihren Erfahrungen lernen. Sollte im Herbst eine weitere Welle kommen, müssen Entscheidungen zügiger getroffen werden. Eine Hochrisikogruppe muss anders gehandhabt werden als eine Gruppe mit niedrigerem Ansteckungsrisiko. Das Wissen soll flächendeckend weitergegeben werden, um in ähnlichen Strukturen südtirolweit ähnliche Maßnahmen umsetzen zu können. Mit Schutzanzügen und Mundschutzmasken sind wir mittlerweile gut ausgerüstet. Wir hoffen, dass wir als Verband und Vertreter der MitarbeiterInnen mehr miteinbezogen und schneller informiert werden. Vor allem geht es jetzt auch darum, den Wert der Sozialberufe anzuerkennen, damit komme ich wieder auf das Thema Entlohnung zurück. Für systemrelevante Berufe wie unsere sind die Löhne eindeutig zu niedrig. Wenn nicht jetzt Lohngerechtigkeit, wann dann?
Zur Person: Kathrin Huebser aus Egg lebt am Ritten und ist seit 2017 Vorsitzende des Landesverbandes für Sozialberufe. Sie arbeitete u. a. in der Hauspflege Wipptal, im Pflegeeinstufungsdienst Wipptal und als Pflegedienstleisterin in Tiers. Seit der Rückkehr aus der Elternzeit ist Huebser wieder im Dienst für Pflegeeinstufung in Bozen tätig.
Interview: rb