Bis halb zwölf Uhr nachts dauerte am vergangenen Freitag (15. März) die Landtagssitzung über den Recovery Fund. Am Ende der einstündigen Sitzung wurde der Antrag der Oppositionsparteien, den Landtag bei der Entscheidung über die Verteilung der Gelder miteinzubeziehen und mehr Transparenz bei den Verhandlungen mit Rom walten zu lassen, mit 14 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung abgelehnt.
„47 Projekte für stolze 2,4 Milliarden Euro – eine enorme Summe“, so
Paul Köllensperger vom Team K, der heftige Kritik an der Landesregierung übte: Ohne den Landtag miteinzubeziehen oder ihn zu informieren, habe das Land Südtirol diese Projekte in Rom eingereicht. Nur durch hartnäckiges Nachfragen habe man Details zu diesem noch nie da gewesenen Investitionsprogramm in Erfahrung bringen können. Auch die wichtigsten Stakeholder – Bauern anscheinend ausgenommen – hätten keine Kenntnis von diesem Investitionsprogramm gehabt, so der Landtagsabgeordnete des Team K, der erklärte, dass sich einige Verbände in den vergangenen Tagen mit Vorschlägen zu Wort gemeldet hätten, die jenen der Landesregierung weit voraus seien. Den ausgewählten Projekten fehle der rote Faden, eine logische Linie sei nicht erkennbar: Die Bereiche Forschung und Entwicklung seien vergessen worden, die Kultur fehle völlig. „Ein großer Teil wird in Zement investiert – und das auch bei der Bildung, keine Spur von Investitionen in den Arbeitsmarkt und in das Humankapital“, kritisierte Köllensperger die Bauvorhaben der Landesregierung. Im Gegensatz zum staatlichen Programm (PNRR – Piano nazionale di ricerca e resilienza), in welchem nicht nur eine breite öffentliche Mitbestimmung vorgesehen sei, sondern auch weitreichende Investitionen in Bildung und im Erwerb von Kompetenzen, beschränke sich das Südtiroler Programm auf Bautätigkeiten – für Bildung und Ausbildung selbst blieben nur Brosamen übrig. Im Kapitel „Grüne Revolution und ökologischer Wandel“, veranschlagt mit über einer Milliarde Euro, finden sich Investitionen in Infrastrukturen für die Skigebiete wie Speicherbecken – nicht besonders grün findet der Team K Abgeordnete. Es handle sich hier um ein Sammelsurium von Projekten, die seit Jahren in den Schubladen herumliegen und nun hervorgekramt worden seien, so das Urteil von Köllensperger und stellte die rhetorische Frage in die Runde, wieviele davon wohl umgesetzt würden, müssten sie aus dem Landeshaushalt finanziert werden. Genau deshalb sei es unverantwortlich solche Projekte nun über den Recovery Fond finanzieren zu wollen. Es sollte um Zukunft und Nachhaltigkeit gehen und nicht darum, verstaubte Projekte mit neuen Geldflüssen zu verwirklichen. Auch deshalb, weil diese Investitionsgelder nichts anderes als Kredite seien, die irgendwann einmal zurückgezahlt werden müssten. Die Liste der angeführten Projekte ähnle einem Wunschzettel der verschiedenen Interessengruppen, der bislang nicht erfüllt werden konnte. Zudem tue er sich schwer, bei einigen eingereichten Projekten zu verstehen, was konkret damit gemeint sei. Es ist eine Zumutung, so etwas für 2,4 Milliarden zur präsentieren – und dazu noch am Landtag vorbei, so Köllensperger, der forderte, das Recovery-Fund-Paket unter Einbindung des Landtages aufzuschnüren und die Möglichkeit zuzulassen, neue Projekte einzureichen, und weiters eine transparente Einsicht in die Verhandlungen mit Rom und Brüssel zu erhalten.
Soldi sprecati?
Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) erinnerte daran, dass der Recovery Fund nur zum Teil aus Verlustbeiträgen bestehe, der Rest seien Kredite. Man könnte sich Schulden einhandeln. Wenn man aber die Gelder nicht zukunftsorientiert einsetze, werde man an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. „Se noi non saremo capace di adeguare di approfittare di questo cambio e di investirlo nel futuro, saranno soldi sprecati“, so Nicolini.
Ohne Visionen
Der Recovery Fund werde oft als neuer Marshall-Plan bezeichnet, er diene der Neuorientierung, meinte
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). Er sehe hier keine Leuchtturmprojekte, etwa solche, die Kultur auf hohem Niveau im Lande ermöglichen würden, oder solche zum öffentlichen Verkehr. Es fehle an Visionen, an Projekten, die langfristig Wertschöpfung generieren. Natürlich sei eine Trinkwasserleitung, wie sie im Recovery Fund aufgelistet ist, wichtig, dies seien jedoch Projekte, die mit dem laufenden Haushalt finanziert werden müssten. „Wir alle hier im Landtag sind Ideengeber und könnten etwas dazu beitragen – würde man uns denn fragen“, so Knoll abschließend.
PNRR – viele schöne Worte, aber ohne Inhalt?
„Das war jetzt doch sehr nützlich und bietet mir die Gelegenheit, mit einigen falschen Vorstellungen aufzuräumen“, so
Landeshauptmann Arno Kompatscher in seiner Stellungnahme. Denn offenbar sei ein starkes Informationsdefizit vorhanden. Den „Next Generation Fund“ hätte es ohne Ministerpräsident Giuseppe Conte und dem starken Insistieren Italiens auf europäische Hilfsgelder nicht gegeben, allerdings habe es dann bei der Umsetzung und der Aufteilung der Gelder gehapert, worüber letztendlich die Regierungskoalition zerbrochen sei. „Von allen Regionen, von welcher Partei oder Koalition sie auch immer regiert werden, wird kritisiert, dass es keine Regie gibt und jedwede Vorgaben fehlen. Bis heute wissen sie nicht, welche Rolle sie dabei haben werden, wie viele Mittel sie bekommen oder in welcher Form die Projekte umgesetzt werden sollen“, erklärte Kompatscher und betonte, dass der Löwenanteil der Gelder für staatliche Projekte wie beispielsweise den Ausbau der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecken vorgesehen sei. Der nationale Plan enthalte sehr viele schöne Worte, aber kein konkretes Projekt.
Die Geldmittel müssten innerhalb 2023 im Haushalt verpflichtet und bis 2026 ausgegeben werden. Mit der italienischen Rechtslage würde es ein neues PPP-Projekt nicht bis dahin schaffen, man müsse daher der Realität ins Auge sehen und auf bestehende Projekte zurückgreifen. Das vom Abgeordneten Sven Knoll vorgeschlagenen Projekt der Reschenbahn wäre in dieser Zeit niemals umsetzbar. „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen“, so Kompatscher. Diese Mittel müssten unmittelbar eingesetzt werden, Italien sei hier im Rückstand und riskiere, auf viel Geld verzichten zu müssen.
82 Milliarden dieser Italien zugewiesenen Gelder seien keine Darlehen und müssen insofern nicht zurückgezahlt werden. Die Regionen zielten wie der Staat aber nicht auf die Kredite ab, denn sie dürften sich ja nicht verschulden, sondern auf die Zuschüsse. Äußerst optimistisch betrachtet erhalten die Regionen vielleicht die Hälfte davon, also 40 Milliarden, auf Südtirol würde 1 % (400 Millionen Euro) entfallen – realistisch betrachtet, so Kompatscher. Allein das Breitbandprojekt, eines derjenigen Projekte, die am ehesten umgesetzt werden könnten, würde über 300 Euro verschlingen. Neue Investitionen seien in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Bzgl. Bildungsbereich seien die Strukturfonds bereits gut aufgestellt, der Recovery Fund sei hingegen für Investitionen da.
Der Südtiroler Recovery Plan sei über die Ressorts entstanden, damit rechtzeitig Projekte eingereicht werden konnten, die „abrufbar“ und damit auch umsetzbar sind. Die Kritik, dass es sich dabei nur um „Betonprojekte” handle, sei nicht gerechtfertigt, es gehe auch um die Digitalisierung, die Sanität, die Wasserspeicherung als Vorbereitung auf den Klimawandel, die Tropfbewässerung, das Fahrradnetz usw. „Die Opposition vermittelt der Bevölkerung den Eindruck, dass die Landesregierung völlig veraltete Projekte aus der Schublade holt und nicht an den Green Deal denkt, wenn sie einige wenige Projekte herauspickt, aber andere, die nicht ins Schema passen, unerwähnt lässt“, konterte Landeshauptmann Kompatscher – gerichtet an die Oppositionsparteien. Der Südtiroler Recovery Plan enthalte jede Menge visionäre Projekte, bei denen die Nachhaltigkeit klar im Vordergrund stehe, wichtig sei aber, dass diese Projekte in absehbarer Zeit auch umsetzbar seien. Nur wenige Projekte würden es bei der Prüfung von Staat und EU schaffen. Man wisse noch nicht, wie Rom vorgehen wolle, ob beispielsweise Nachbesserungen möglich seien; die Regionen verlangten eine Aussprache mit der Regierung, da Italien im April die Projekte in Brüssel abgeben müsse.
Paul Köllensperger erklärte in seiner Replik, dass der Betrag der Zuschüsse inzwischen wohl auf 69 Milliarden Euro geschrumpft sein dürfte, glaube man Minister Daniele Franco, zuständig für das Finanzressort. Weiters wies er darauf hin, dass in den Projektbeschreibungen auch die positiven Auswirkungen für die kommenden Jahrzehnte enthalten sein müssen. Den einzigen Effekt, den diese Projekte hätten, wäre ein Anstieg der laufenden Kosten. Nicht alle Projekte seien negativ, aber angesichts dieser Summen hätte man Besseres vorlegen können, so das abschließende Urteil des Team K-Abgeordneten.
Der Antrag wurde mit 14 Ja, 17 Nein und 1 Enthaltung abgelehnt.
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